Felix Hueffelmann Fotografie
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The Dark Side of the Moon
Als der Welt im Jahr 2013 durch die Enthüllungen des amerikanischen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden das unvorstellbare Ausmaß der weltweiten elektronischen Datenüberwachung der National Security Agency offenbar wurde, da mangelte es nicht nur an entsprechenden Begriffen und Informationen, um die Tragweite der Vorgänge in einer breiten Öffentlichkeit diskutieren zu können. Auch eine visuelle Form für den neuen gesellschaftlichen Zustand schien angesichts der immer gleichen Agenturfotos, welche den Hintergrund der Berichte bildeten, erst noch erarbeitet werden zu müssen.
Mit „The Dark Side of the Moon“ reagiert Felix Hüffelmann auf ein nach wie vor erstaunliches Defizit an Bildern, die auch auf einer symbolischen Ebene jener Verbindung zwischen dem Unfassbaren und der persönlichen Alltäglichkeit Rechnung tragen. Seine Reihe von Fotografien und Animationen geht einer sachlich berichtenden Haltung ganz entschieden aus dem Weg. Stattdessen setzt er unter anderem auf private Beobachtungen und Fundstücke aus der Popkultur. Auch das Porträt Snowdens fehlt nicht, doch es erscheint nur indirekt als emblematischer Druck auf einem T-Shirt. Weitere Fotografien versammeln eine Vielzahl unterschiedlicher Facetten, wie etwa private und öffentliche Archive, die Struktur der geodätischen Kuppel einer Funküberwachungsanlage, eines Raumes hinter einer offenen Geheimtür und sogar ein Modell des sogenannten „Tricorders“ aus der Serie „Star-Trek“, das hier augenzwinkernd zum Vorbild des allgegenwärtigen Smartphones mutiert. Überhaupt spielt die Serie eine feine Ironie aus und entgeht damit der Falle einer allzu gutgemeinten, aufklärerischen Empörung.
Ein ebenso überraschender wie letztlich schlüssiger Bezug zum Thema findet sich vor allem in der Reproduktion jenes berühmten Plattencovers des Albums „The Dark Side of the Moon“ von Pink Floyd, das einen durch ein dreieckiges Prisma farbig aufgespaltenen Lichtstrahl zeigt. Ebenso wie der Albumtitel greift auch Hüffelmanns Werktitel einen Aphorismus Mark Twains auf: „Everyone is a moon, and has a dark side which he never shows to anybody“ – die metaphorische Entgegnung des Autors auf die puritanische Normenkontrolle der Gemeinschaft über den Einzelnen. Und so wirkt es wie unverhohlener Sarkasmus, wenn das eigentlich geheime staatliche Überwachungsprogramm PRISM sich selbst ein Logo gibt, das dem von Pink Floyd verdächtig ähnlich sieht. So bildet sich hier aus diesem Zusammenhang ein wunderbares Symbol für die Arroganz der Mächtigen.
Die Idee der Überwachung ist, historisch betrachtet, unter anderem aus einer absolutistischen Allmachtsfantasie geboren, einer herrschaftlichen Perspektive, von wo aus die Fäden der Welt gezogen werden können. Der Protestantismus wiederum hat sich umgekehrt in die passive Rolle einer Totalüberwachung durch das allsehende Auge Gottes hineingedacht – noch heute findet sich dieses als Bild auf jeder amerikanischen 1-Dollar-Banknote. Dagegen hatte sich die Kunst bereits an der Schwelle zur Moderne, also im ausgehenden 18. Jahrhundert eine ausgesprochen dezentrale Blickbeziehung aufgebaut und seitdem immer wieder gleichsam auf Augenhöhe mit der Realität operiert.
Aber die Entwicklung der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie hat längst so etwas wie die Antithese jener von der Kunst eingeleiteten Demokratisierung der Perspektive hervorgebracht. Die Möglichkeit für jedermann, in Echtzeit in alle Winkel der Welt zu schauen, permanenten Zugriff auf das Wissen der Zeit zu haben und überall mit anderen in Kontakt zu sein, mindert schon aus Prinzip die private Sphäre. Jeder hat dann jeden im Blick, und die so gewonnenen Daten sind wiederum für jeden verfügbar. Der Wunsch nach totaler Kommunikation trägt in sich automatisch schon das Menetekel der totalen Überwachung. Was jedoch der Gesellschaft heute wirklich Angst macht, das ist die bemerkenswerte Wiederauferstehung jenes alten Symbols absolutistischer Wissens- und damit Machtkonzentration, gepaart mit dem durch die totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts geprägten Organisationsmodell des anonymen Apparates.
Sehr deutlich wird diese doppelt unheilvolle Vision in den beiden Animationen , welche die Bilderreihe begleiten und zugleich eine Klammer zwischen Geschichte und Gegenwart bilden. Die eine zeigt als abstrakte Computergrafik die architektonische Struktur des Entwurfes eines idealen Gefängnisses aus dem 18. Jahrhundert von Jeremy Bentham. Die zweite nimmt einen Rundblick in einem privaten Zimmer während in der Mitte des Raumes eine weiße Wolke zu schweben scheint, was natürlich als ein Bild der sogenannten „Clouds“ zu verstehen ist, den weltweit vernetzen Massenspeichern, die einer großen Zahl von Nutzern zugänglich sind.
Freilich erinnert die niedliche Wattewolke ebenso an das Bild des sprichwörtlichen Schafes, denn natürlich kann die vermeintliche Allmacht der geheimen Staatsapparate nicht darüber hinwegtäuschen, dass heute die Verantwortung genauso beim Individuum liegt. Mit diesem Gedanken wird Hüffelmanns Werk dann doch noch ein wenig bösartig, wenn als Diaschau die zufällige nächtliche Beobachtung eines masturbierenden Unbekannten hinter einem Fenster vorgeführt wird. Hier wird die Verletzlichkeit und damit die Bedrohung des Individuums auf ebenso verstörende Weise anschaulich wie die Tatsache, dass der Künstler sich selbst zugleich exemplarisch zum Täter macht.
Thomas Niemeyer
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